Büro für Altlastenerkundung und Umweltforschung

Dr. Rainer Haas

Stadtwaldstr. 45a, D-35037 Marburg, Tel.: 06421/93084, Fax: 06421/93073

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Analogien einer strukturbildenden chemischen Reaktion zur Raleigh-

Benard-Konvektion



1R. Haas, 2H. Rautenhaus, 3I. Schreiber



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Zusammenfassung

Im folgenden Beitrag werden einige Aspekte einer strukturbildenden chemischen Reaktion, der Bildung eines Jod-Stärke-Komplexes unter UV-Bestrahlung einer Kaliumjodid/Stärkelösung, dargestellt. Analogien zur Raleigh-Benard-Konvektion werden beschrieben.



Ergebnisse

In der Literatur sind einige Beispiele für strukturbildende chemische Reaktionen beschrieben worden. Angeregt durch einige Veröffentlichungen (1-5) untersuchten wir eine einfache Reaktion, welche sehr gut beobachtbare Strukturen während des Reaktionsablaufes entwickelt. Durch Modifikation einzelner Parameter wurde versucht, die Reaktion in ihrer Erscheinungsvielfalt zu erfassen. Dabei ergaben sich unerwartete und erstaunliche Effekte.



Wir bestrahlten mit einer UV-Lampe wässrige Lösungen von 1,5% Kaliumjodid und 1% bis 2,5% Stärke in einer Petrischale (Durchmesser 10 cm, Füllhöhe 0,5 cm). Schon nach wenigen Sekunden zeichneten sich haarfeine, linienförmige, blauviolette Strukturen auf der Oberfläche der Lösung ab, die sich sehr rasch verstärkten und verzweigten. Nach ca. einer Minute entstand daraus ein Netz von konvexen Polygonen, das sich stetig verstärkte und verdickte. In den Randzonen der Petrischale öffneten sich die Zellen und die Zellwände liefen senkrecht auf die Gefäßwand zu. Nach etwa drei Minuten begann das blaue Reaktionsprodukt, das sich in den Netzlinien angesammelt hatte, allmählich senkrecht nach unten abzusinken. Zunächst erschien es, als ob blaue Fäden oder Maschen absänken, dann bildeten sich unter den Netzlinien blaue Schleier durch ständiges Absinken des Reaktionsproduktes. Dieses breitete sich nun auf dem Boden der Petrischale aus, wobei sich dort für einen Moment ein Negativabbild der Netzstrukturen an der Oberfläche bildete.

Der größte Teil des entstehenden Komplexes lagerte sich in den Zellen an, erst während eines späteren Stadiums der Reaktion bildete sich eine homogene blaue Grenzschicht auf der Oberfläche. Sie verstärkte sich kontinuierlich, ohne jedoch die Zellenstruktur zu stören (s. Abb. 1 bis Abb. 4).

Bei dem entstehenden Reaktionsprodukt handelt es sich um einen Jod-Stärke-Komplex, dessen Absorptionsmaximum jedoch bei 560 nm gegenüber 600 nm des aus J2 in KJ und Stärke gebildeten liegt. Durch Bestrahlen mit UV-Licht wird aus KJ-Lösung J2 freigesetzt, was durch Kontrollversuche belegt wurde.

Existierte aufgrund von streifendem Lichteinfall eine sichelförmige, unbelichtete Zone, in der keine Reaktion stattfand, so wuchsen, ausgehend von den an die Zone angrenzenden Konvektionszellen, am Boden der Petrischale blaue Fäden senkrecht auf die Gefäßwand zu und damit in die unbelichtete Zone hinein. Schließlich stiegen sie an den Gefäßwänden senkrecht empor und liefen auf der Oberfläche auf exakt demselben Weg zurück. Jeder dieser Fäden scheint einer eigenen Konvektionszelle anzugehören, die offensichtlich Ausgangsmaterial in die reaktive Zone transportiert. Diese langgestreckte Zellenstruktur war immer im Bereich der Wandung der Petrischale zu beobachten (s. Abb. 5).

Bei einer Füllhöhe von 1 cm bildete sich ein Zweiphasensystem, bestehend aus einer oberen, ca. 0,5 cm dicken blauen zellulären Schicht und einer unteren Phase, die scheinbar nicht an der Reaktion teilnahm. Nach Ausschalten der Lampe blieb das Zweiphasensystem 6 Stunden erhalten. Die Zellenstruktur selber bildete sich zu Fäden um, diese lösten sich innerhalb einer halben Stunde auf (s. Abb. 6).

Bei größerer Schichtdicke (Becherglas, Durchmesser 5 cm, Füllhöhe 5 cm) bildete sich auf der Oberfläche ein linienförmiges, scheinbar von einem Punkt ausgehendes Muster. Der Komplex sank ungeordnet zum Gefäßboden ab, Zellenbildung war nicht zu beobachten (s. Abb. 7).

Durch Variation der Stärkekonzentration wurde die Viskosität verändert. Dabei zeigte sich, daß die Maschenweite der Zellen von der Viskosität abhängig ist. Nur innerhalb eines geringen Viskositätsintervalls (Stärkekonzentration 1% bis 2,5%) war Zellenbildung zu beobachten, außerhalb dieses Intervalls lief die Reaktion diffusionskontrolliert ab. Bei hoher Viskosität beobachteten wir kleine Zellendurchmesser (ca. 1 mm) und geringe Dicke der konvektiven Schicht (ca. 2 mm), bei niedriger Viskosität große Zellendurchmesser und größere Dicke der konvektiven Schicht (je ca. 5 mm). Die Konzentration an Kaliumjodid wurde mit 1,5% konstant gehalten.



Diskussion

Die von uns beobachteten zellulären Konvektionsmuster weisen eine ganze Reihe von deutlichen Analogien zur Raleigh-Benard-Konvektion auf:

1) Die Querschnitte einzelner Konvektionszellen sind hauptsächlich konvexe Polygone (6).

2) An den Zellwänden herrscht Abwärtsströmung (6).

3) Zellwände, die an Gefäßwandungen oder glatte Hindernisse grenzen, stehen auf diesen senkrecht (7).

4) Die obere Grenzschicht der Flüssigkeit scheint an der Konvektion nicht teilzunehmen. Dort bildete sich ein dünner Film des blauen Jod-Stärke-Komplexes, der stellenweise wie eine Haut aufplatzte. Dies steht in gewisser Analogie zu der Feststellung von Berge und Dubois, daß im Falle der Raleigh-Benard-Konvektion Grenzschichten existieren, in denen keine Konvektion stattfindet und Wärmeleitung durch Diffusion überwiegt (7).

In einem Kontrollversuch, bei dem feinster Aluminiumstaub auf die Oberfläche der Lösung aufgebracht wurde, wurde dies erhärtet. Der dort befindliche Aluminiumstaub blieb während des Reaktionsablaufes augenscheinlich in Ruhe.

Diese starke Analogie kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß in diesem Falle vollkommen andere physikalische Gegebenheiten bestehen als im Falle der Raleigh-Benard-Konvektion. Dort ist stets ein der Schwerkraft entgegengerichteter Temperaturgradient der Auslöser für die zelluläre Konvektion. Die Energie zur Bildung der Konvektionszellen wird dort von der ständig an der Unterseite der Flüssigkeitsschicht zugeführten Wärme geliefert. In Falle unseres Systems ist jedoch nicht auf den ersten Blick ersichtlich, welcher physikalische Mechanismus für die Entstehung der konvektiven Schicht verantwortlich ist. Durch die Bestrahlung der Oberfläche wird zwar ständig Energie zugeführt, doch wirkt diese eher der Konvektion entgegen, da sie die obere Grenzschicht der Flüssigkeit erwärmt.

Der Auslöser für die Konvektionsströmung könnte jedoch die Anreicherung des Jod-Stärke-Komplexes an der oberen Grenzschicht sein: durch Anlagerung von Jodatomen an die Stärkemoleküle erhöht sich deren Molekulargewicht, die Jod-Stärke-Lösung an der Oberfläche hat deshalb unter Umständen ein wesentlich höheres spezifisches Gewicht als die darunter befindliche Stärkelösung. Somit besteht ein der Schwerkraft entgegengerichteter Wichtegradient, der die ruhende Flüssigkeit destabilisiert und bei genügend hoher Jod-Stärkekonzentration an der Oberfläche zum Einsetzen der Konvektion führen könnte.



Literatur:

1) P. Möckel: Naturwissenschaften 64, 224 (1977)

2) M. Orban: J. Am. Chem. Soc. 102, 4311 (1980)

3) M. Kagan, A. Levi, D. Avnir: Naturwissenschaften 69, 548 (1982)

4) M. Gimez: Naturwissenschaften 70, 90 (1983)

5) L. Weissenborn, R. Bausch: Naturwissenschaften 70, 307 (1983)

6) S. Chandrasekhar: Hydrodynamic and Hydromagnetic Stability,

Oxford, 1961

7) P. Berge, M. Dubois: Contempt. Phys. 25, 535 (1984)



Beschriftung der Abbildungen:



Abb. 1: Reaktionszeit 2 Minuten, Stärkekonzentration 1%, Bildung

großer Zellen, geöffnete Randzellen



Abb. 2: Reaktionszeit 4 Minuten, Stärkekonzentration 1,5%,

homogene Grenzschicht an der Oberfläche, Schleier durch

abgesunkenes Reaktionsprodukt



Abb. 3: Reaktionszeit 1 Minute, Stärkekonzentration 2%, Bildung

kleiner Zellen durch hohe Viskosität, Umbildung der

anfänglichen Linien zu Polygonen



Abb. 4: Reaktionszeit 12 Minuten, Stärkekonzentration 1,5%,

aufgeplatzte obere Grenzschicht, geöffnete Randzellen,

sichtbare Tiefenstruktur



Abb. 5: Struktur der Konvektionszellen in der unbelichteten Zone



Abb. 6: 30 Minuten nach Ausschalten der Lampe: Umbildung der

Zellenstruktur



Abb. 7: Oberflächenstruktur bei 5 cm Schichtdicke im Becherglas





Anmerkung: Abbildungen sind in diesem Beitrag nicht enthalten.



Dieser Beitrag ist die deutsche Übersetzung des Artikels: Analogies of a pattern forming chemical reaction with Raleigh-Benard convection (s. Publikationsliste).



Nähere Informationen erhalten Sie hier.





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